"Was ich an Heimat habe, liegt da und dort verteilt, im Bewusstsein der Freunde."
R.M.Rilke

„Lösch mir die Augen aus: ich kann dich sehen,
wirf mir die Ohren zu: ich kann dich hören,
und ohne Füße kann ich zu dir gehen,
und ohne Mund noch kann ich dich beschwören.
Brich mir die Arme ab, ich fasse dich
mit meinem Herzen wie mit einer Hand,
halt mir das Herz zu, und mein Hirn wird schlagen,
und wirfst du in mein Hirn den Brand,
so werd ich dich auf meinem Blute tragen.“
R. M. Rilke

Sie trägt ein löchriges Nachthemd und hochhackige Schuhe. Gedankenverloren tanzt sie mit sich selbst und merkt nicht, wie schön sie ist. Das offene Fenster bringt bunte Herbstluft. Pures Glück.

Als ich Deinen Brief aus China bekam, in dem Du über den Aufsatz berichtest, den du für die Uni schreibst, musste ich weinen. Das Thema lautete: „Der Freund, den ich am meisten vermisse“ und Du hast über mich geschrieben. Obwohl wir schon soviele Türen aus Wut übereinander geschmissen und uns manchmal tagelang mit Schweigen gestraft haben, waren wir trotzdem, nach all den Jahren, voll Liebe füreinander.

Weißt Du noch, dieses rumänische Konzert in der Fabrik, als wir beieinander lehnten, Astra und Glück tranken? Ich erzählte Dir von Wien und wir träumten uns in schöne Zukünfte, wir fanden sie beide auf unsere Weise. Ich sehne mich so nach unseren Abenden. Rumhopsen und die Zeit vergessen. Du mit Deinem bunten Rock und Deinem schönen Gesicht, mit dem wunderbaren Lachen und den leuchtenden Augen. Ich vermisse Dich wahnsinnig.

Frauen wie wir, die auf aufgeheiztem Felsen liegen und Tränen über Wangen fließen lassen, über vergangene und aktuelle Zuneigung, über Flut und Ebbe von Liebe, über Zweifel und Ängste. Die sich blind durchs Leben tasten. Die weinen und klagen und unsicher über die Liebe ihrer Männer sind.
Warum strahlen wir nicht mehr, wenn wir doch Sterne sind?

Wir sitzen auf diesem warmen Felsvorsprung, zerklüftet und von kleinen Schneckenhäusern besiedelt, und warten auf den Sonnenuntergang. Wir quälen uns ein bisschen mit Gesprächen über die Liebe und die Vergangenheit, bis wir weinen und leichter werden und wieder lachen, ein Bier öffnen und Tomaten in den Salat schneiden.

Unwiederbringlich vorbei die Stunden, in denen wir ewig im Knuth saßen, lesend, ratschend, lachend, uns manchmal schon mittags betranken und durch Liebe zum Leben schwammen. Ich vermisse Dich sehr.

Es war das vollkommene Glück, mit diesen Mädchen zu frühstücken, ihre Stimmen zu hören, die Wärme, die ihr Lächeln verströmte, aufzusaugen. Alles war gut in diesem kleinen Universum, in der die Espressomaschine sich räusperte und der Milchschäumer die Milch zu einer warmen tröstenden Masse schlug, und wir hielten uns fest an Träumen, die die Nacht beherrschten oder das ganze Leben. Wir kochten Eier, die alles beinhalteten, von dem wir uns Kraft erhofften. Eine von uns schnitt den blaßgelben Käse in Scheiben und wir spürten Leben in uns keimen. All diese Momente des Glücks, des Zusammengehörens, der Geborgenheit, obwohl jede von uns ihren Kaffee anders süßte, ihr Brot anders belegte, einem anderen Tag entgegenblickte, andere Lebensträume sponn. Es war schön, all die Jahre mit Euch zu wohnen. Ihr fehlt mir.

Jedes Rapsfeld ist eine Geschichte von Dir. Ich hoffe, es geht Dir gut da oben.